Kaisersaschern Blues

Mittwoch, 12. Mai 2004

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Dieses leuchtende Gelb in der Morgendämmerung gibt einen eigenartigen Effekt. Raps in voller Blüte, die Felder strahlen heller, als es die Sonne vermag.
Plötzlich Schnee. Riesige weiße Planen über den Spargelbahnen. Die Stecher kommen später.
Bahnhaltepunkte, wo sogar die Uhr wegrationalisiert wurde. Bei der Einfahrt in Stendal ein Lokomotivfriedhof. Mindestens 15 Rangierloks Puffer an Puffer, dahinter noch zwei oder drei Reihen. Rost.

Eine Stunde später bin ich schon in Berlin; und die Stadt stinkt zum Himmel. Ich kann die Rückreise kaum erwarten.

Sonntag, 9. Mai 2004

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Nutzloses Ateliergebäude in malerischer Lage. Direkt am Stadtwall gebaut, nur eine kleine Schießscharte gibt den Blick frei auf den Park. In die mittelalterliche Mauer dürfen keine größeren Löcher geschlagen werden, drei Fenster sind zugemauert. Das wäre die Südseite gewesen. Lichteinfall ausschließlich von Norden. Der Denkmalschutz freut sich, aber wer möchte so malen

Freitag, 7. Mai 2004

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Also, folgende Situation:
82 Jahre ist sie alt und steht seit 50 Jahren jeden Tag in ihrem kleinen Laden. Sie kennt das Städtchen, sie kennt die Leute und sie kennt die Welt. Hat in Wien, Hamburg und Berlin studiert, hat 1935 die beste Freundin nach Palästina (Israel hieß es ja erst ab 48) auswandern sehen, hat die Kollektivierung miterlebt, das Geschäft mit Zähnen und Klauen verteidigt, die Bausünden, hat inzwischen verdammt viele Menschen, denen sie auf ihren Wegen begegnet ist, überlebt. Seit sie Rentnerin ist, reist sie so gut es geht. Zuletzt 1999 nach Israel, die Schulfreundin besuchen. Morgen ist Schultreffen.
Ich steh da und hör zu, wie sie erzählt was sich geändert hat, was geblieben ist. Und jedes Mal, wenn sie stockt, noch ein bisschen kleiner wird, als sie ohnehin ist, mehrere Minuten schweigt, nach dem Faden sucht, da bekomm ich dieses flaue Gefühl im Magen und an den Schläfen hämmert dieses nein, nein, bloß nicht. Das geht auch nicht weg, wenn sie dann erzählt, dass sie vor zwei Wochen diese Fahrradtour gemacht hat, „Naja, zurück bin ich dann mit der Bahn gefahren, einmal 24 Kilometer reichen für mich.“, und davon, dass sie zur Heidezeit, das ist im August, dann wieder rausfahren möchte, nein wird!, weil es dann so schön ist im hügeligen Umland.
Sie hat Pläne, macht was, und trotzdem bleibt dieses Unwohlsein bei mir zurück. Da muss ich an jenen grandiosen, schon lange emeritierten Professor denken. Religionsgeschichte, einmal die Woche hatte er das auditorium maximum bis auf den letzten Platz gefüllt, auf dem Fußboden haben die Leute gehockt. Und das war kein Pflichtschein, nur er. Und mitten während einer Vorlesung hat ihm der Gevatter eine Breitseite gegeben. Schlaganfall. Eine der schrecklichsten Erinnerungen, die ich habe. Die Fans, die ihr Idol lieber märtyrerhaft sterben sehen wollten, als ihn in einer „würdelosen Situation“ wiederzufinden. Beinahe mit Gewalt mussten wir den Weg für den Notarzt freimachen. Der Professor, abwechselnd grau und grün, richtig grün im Gesicht, völlig neben sich, keine Kontrolle mehr über Geist und Körper.
Er ist später wieder halbwegs auf die Beine gekommen, Vorlesungen hält er keine mehr. Aber den Wahn in den Augen der Massen, den wird ich nie vergessen.
Aber darum geht’s eigentlich gar nicht. Mehr um die Angst vor dem Moment, da Unausgesprochenes für immer verloren ist. Mitfühlender Egoismus in gewisser Weise.
Jetzt fällt mir auch ein, was ich so interessant an Leuten wie der Buchhändlerin finde; dass sie nämlich selber Interesse an Menschen und Dingen zeigen. Nur so hat man ja wirklich was zu erzählen.

Donnerstag, 6. Mai 2004

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Marianne Fritzen 1979 bei der Blockade von Bohrmaschinen

Zero, so eine Art Stadtmagazin aus dem Wendland. Jede Menge privater Kleinanzeigen, wo ganzheitliche Landkommunenhippies noch Leute zum fröhlichen Ringelreihen suchen.
Lohnend, weil mal aus anderer Perspektive schauend und auch ganz lustig, der Beitrag zum Autoorga-Kongress in Berlin.

Mittwoch, 5. Mai 2004

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Auf dem weißen Schild, ich seh es schon weitem, steht „Friedhof“ drauf.
Dichter dran, Achtung, Satz mit exorbitant vielen Kommen, selbst ausgedachter Plural, nebenbei bemerkt, dichter dran also, die Korrektur, nicht „Friedhof“, „Freibad“ steht da, „Freibad“.

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Die Nacht auf den Kopf haun. Lesen.

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Mittwoch:
Schönen Sonntag noch! Sagt der Nachbar und grinst. Er ist Renter.

Montag, 3. Mai 2004

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An der Marienkirche wird ein Fachwerkhaus restauriert. Da wird nicht entkernt, sondern skelettiert. Durch die knorrigen Streben im Inneren turnt ein junger Bauarbeiter. Das schaurige Gefühl, einer Leichfledderei beizuwohnen

Sonntag, 2. Mai 2004

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Gefangen im Bannkreis des Quilts. Drei Patchworkausstellungen halten das Städtchen in Atem. Kultur an der Peripherie.
Im Park einen Moment das Gefühl, David Bowies Major Tom verstanden zu haben.
Neugierige Gänge durch die Gassen, immer darauf gefasst, Zeitblom oder gar Leverkühn selbst zu begegnen, wie sie gerade auf die Straße treten. Nichts dergleichen, keine Spur auch nur eines Hauchs von Genie.
Meine Mutter berichtet, dass es in Berlin gestern vergleichsweise ruhig war, sie hatte das Auto schon am 30. weggeparkt vom Mariannenplatz, vermeintliche Sicherheit oben in Friedrichshain, wo vormittags die Nazis marschierten und da hat eine Karre gebrannt.

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