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Die Romantik (als Literatur- oder allgemein Kunstepoche), so scheint's, ist wirklich vorbei, die Moderne jedoch hat noch nicht mal ihren wirklichen Gipfel erreicht. Das, was sich da Postmoderne nennt, ist doch nur ein jämmerlicher, schon längst kläglich mißlungener, Fluchtversuch.
tristan - Montag, 21. Juni 2004, 00:54
Ganz sicher nicht.
Pynchon hab ich sowieso schon eine Weile auf meiner Liste, werd ich ihn eben vorziehen.
Abgesehen davon geht es mir ja gar nicht darum, die Moderne zu überwinden. Weshalb sollte ich? Naturwissenschaftlich gewertet, lebe ich in keinem Jahrhundert lieber als dem meinen. Ich finde das Mittelalter viel problematischer, die Rückkehr von (normativ verstandenen und so auch angewendeten) Glaubenskatechismen (Achse des Bösen, Achse des Guten usw.). Was nun das inhaltliche Kriterium anbelangt, sind wir ganz sicher einer Meinung: Die Postmoderne als unverbindliches Sprachspiel finde auch ich ziemlich öde. Aber die (intentionale) Inhaltsbestimmung allein garantiert wiederum nicht die Verbindlichkeit der Kunst, sondern ist, wenn es gut geht, Kitsch.
Der Realismus und die affirmative Lust am Kapitalismus... Ist das ein Vorwurf, der generell gemacht werden kann? Impliziert realistische Kunst nicht zumindest potentiell auch eine Kritik der dargestellten Realität? Ich weiß schon, die Gefahr, moralisch unzulässiger Überhöhung, peinlicher Ideologisierung, aber im Bewußtsein dessen kann Realismus, der ja immer nur Abbild einer ganz bestimmten Wahrnehmung ist, zu produktivem Widerspruch herausfordern. Gegenbeispiele beweisen nicht die Unmöglichkeit, weisen aber auf die Probleme hin, unbenommen.
Aber auch eine andere Darstellung ist zwangsläufig geprägt von Erfahrungen, Meinungen und (allerwenigstens) unbewußtem Manipulationstendenzen, die sind nur besser versteckt, vor dem schaffenden wie dem konsumierenden Individuum. Realismus scheint mir ehrlicher zu sein. [Das Gegenteil davon ist -unehrlich-, nicht -verlogen-.]
Zur Überwindung: Den Berg besteigen heißt: ihn überwinden. Die darauf folgende Herausforderung lauert am Horizont, der nächste Gipfel. Insofern sprach ich von Überwindung als positivem Entwicklungsschritt, Erfüllung eben, nicht Beseitigung.
Meta: Mir kommt es so vor, als liesse sich der größte Teil der Diskussion auf unterschiedliche Begrifflichkeiten zurückführen, die letztendlich doch zumindest Ähnliches bezeichnen. Das muss wohl so sein. Die vielleicht real existierenden Unterschiede treten dahinter etwas zurück. Das gibt sich bestimmt.;-)
Ab Mittelalter übrigens d'accord, auch wenn altkluge HistorikerInnen jetzt sicher darauf verweisen würden, dass das MA gar nicht so schlimm war, sondern die frühe Neuzeit, aber so einer bin ich ja nicht.
Nein, nicht generell ein Vorwurf,
Das "Mittelalter" meine ich übrigens metaphorisch, vielleicht ist es sogar ein allegorischer Begriff insofern, als weniger mitschwingt, was wirklich war (wer soll darüber auch etwas wissen? wie kennen alles nur vom - geschriebenen -Hörensagen), als was im Bedeutungshof schwingt. Die Historikerinnen (Sie denken jetzt nicht etwa an die neuen Hexen? Nein, die gehören ja in der beginnenden Neuzeit verbrannt... in und nach der Inquisition.) werfen das Argument als nicht von der Latte, lach.
Daraus aber nun endlich folgernd, halte ich es für vielversprechend, Realismus als Kritik zu praktizieren. Vor der Vereinnahmung ist das (kommerziell erfolgreiche) Werk so oder so nicht geschützt, weil es unter gegebenen Bedingungen als Ware handelbar ist, da nützen auch die wildesten De-Konstruktionen, die Ablehnung aller Absolutheit, der Geschlossenheit von Werk und Person usw. nichts. Sie erscheinen mir als Fluchtversuche. Beim Weglaufen verstellen sie den Blick darauf , dass einige Dinge vielleicht doch einfacher, realistischer eben, darzustellen sind. Sie laufen dabei Gefahr, nicht mehr fassbar zu sein. Diese Nichtfassbarkeit als Absicht zu deklarieren und zu praktizieren ist natürlich in Ordnung, geht mir aber ein wenig ab. Realistische Literatur ist realistisch, weil das von ihr erzeugte Abbild ja auch Realität ist, eine, die sich in Frage stellen lässt, was ich nicht unwichtig finde. Selbst die stinkendste Kloake kann ein wichtiger Orientierungspunkt sein. Und auf sowas fahr ich ab, Orientierungspunkte, die helfen mir, beweglich zu bleiben.
Fanzines, Bloggs etc. s p i e l e n bereits mit der geänderten Form.
Das ist wirklich kein Spiel, sondern mir sehr ernst. Und es interressiert mich, wie ich die hier skizzierten Sachverhalte darstellen kann, - nämlich ganz sicher nicht in Form eines formal immer schon regredierten Schein-Realismus, der A sagt, wenn er etwas meint, das a u s s i e h t wie A, aber A gar nicht sein kann, weil es sich um eine Ausage handelt.
Da ich frei von der Vorstellung bin, mit Romanen Gesellschaft verändern zu können, sondern meine Aufgabe als Schriftsteller eher darin sehe, sie darzustellen (ihre Veränderung liegt mir als politischem Bürger am Herzen und in politischen Aktionen wirke ich dann auch mit), habe ich ohnedies das Gefühl einer ganz andersgearteten Zielrichtung, als meine Texte unter gesellschaftliche Intentionen zu stellen. Es ist in der Erkenntnis ein wenig wie in der Liebe: Wenn ich mich selbst zu lieben vermag, wird mir Zuneigung nicht vorenthalten bleiben. Verzeihen Sie den Kitsch, aber ich bin davon überzeugt, es ist etwas daran.
Wo wir grad drüber reden: Mit seiner Eigenwilligkeit in der literarischen Gestaltung fügt sich Pynchon in die Reihe jener kritisch-realistischen Erzähler der Gegenwart ein, die oft als "Fabulatoren" oder "Postmodernisten" bezeichnet werden. [...] Doch ist die Hinwendung zum Entropiekonzept Ausdruck eines deutlichen Krisenbewußtseins spätbürgerlicher Schriftsteller und ihrer tief empfundenen Sorge um die weitere humanistische Entwicklung ihres Landes.
Sagt Eva Manske im Nachwort zur 1985 erschienenen Lizenzausgabe Die Versteigerung von No. 49. Na also, selbst aus der Perspektive des sozialistischen Realismus hat die Postmoderne eine Daseinsberechtigung, als Ausdruck tief empfundener Sorge versteht sich. Und ich versteig mich noch... Man kann sich auf nichts mehr verlassen.
sehr laut auflachend:
Ich würde niemals Leid und Hunger (und Durst und Krankheit) verleugnen, so wenig wie Lust. Niemals.