...

Die Romantik (als Literatur- oder allgemein Kunstepoche), so scheint's, ist wirklich vorbei, die Moderne jedoch hat noch nicht mal ihren wirklichen Gipfel erreicht. Das, was sich da Postmoderne nennt, ist doch nur ein jämmerlicher, schon längst kläglich mißlungener, Fluchtversuch.
albannikolaiherbst - 21. Jun, 15:29

Ganz sicher nicht.

Vielmehr ist dies das deutsche M i ß verständnis von Postmoderne, das Autoren wie Pynchon und Gaddis zwar kennt, aber nicht gelesen hat. "Postmoderne" bezeichnet ein künstlerisches Arbeitsmodell, das im wesentlichen synkretistisch konstruiert, indessen die Moderne auf "Reinheit" auswar. Dennoch ist Postmoderne in überhaupt keiner Weise ein Gegenentwurf zur Moderne, sondern sie setzt sie mit anderen Mitteln avantgardistisch fort. Die Gegenentwürfe d a z u sind kläglich: also der Neorealismus etwa.

tristan - 21. Jun, 18:13

Wenn ich Sie wörtlich nehme, wird das Faktum nur anders bezeichnet. Sie sagen in etwa, wenn ich richtig verstehe, die Postmoderne sei die Fortsetzung der Moderne mit anderen Mitteln. Ich nenne das einen Fluchtversuch, in als deutsch apostrophierter Unkenntnis von Pynchon und Gaddis, einen jämmerlichen zumal. Das deshalb, weil die Überwindung der Moderne, wie auch ihre Erfüllung, meiner Ansicht nach, kaum nur formal geschehen kann, und deshalb auch noch nicht geschehen ist. Ich habe da einen Hang zum (nun wiederum ihrer Ansicht nach jämmerlichen, naiven, verlogenen usw.) Realismus, der als inhaltliches Kriterium, nicht als formales, vielleicht eher eine Fortentwicklung sein kann. Am Ende, wahlweise Anfang, steht wohl eine Synthese, ein Synkretismus gerne auch, wobei ich mich erwische, Ihnen in die Hände zu spielen, was mir aber kein Kopfzerbrechen bereiten soll.
Pynchon hab ich sowieso schon eine Weile auf meiner Liste, werd ich ihn eben vorziehen.
albannikolaiherbst - 21. Jun, 18:27

Wenn Sie mir in die Hände spielen, werd ich das nicht ausnutzen; es geht ja nicht um Rechthabenwollen, sondern Erkentnis. Allerdings habe ich d i e s e n Satz inhaltlich nicht verstanden, jedenfalls nicht seine Folge: "in als deutsch apostrophierter Unkenntnis von Pynchon und Gaddis". Denn meines Wissens gibt es - außer Jelinek etwa - kaum Autoren, die aus der Arbeit beider Genannter ästhetisch Konsequenzen gezogen hätten - oder eben eigene forciert ästhetische Wege gegangen wären. Eher hängen wir seit den Achtzigern wir in einem Realismus fest, der dem gesellschaftlichen Regreß und seiner affirmativen Lust am Kapitalismus durchaus entspricht. (Ich spreche hier nicht von Theatertexten, auf die das gleiche nur insoweit zutrifft, als sie nicht ins Regietheater gehören.)
Abgesehen davon geht es mir ja gar nicht darum, die Moderne zu überwinden. Weshalb sollte ich? Naturwissenschaftlich gewertet, lebe ich in keinem Jahrhundert lieber als dem meinen. Ich finde das Mittelalter viel problematischer, die Rückkehr von (normativ verstandenen und so auch angewendeten) Glaubenskatechismen (Achse des Bösen, Achse des Guten usw.). Was nun das inhaltliche Kriterium anbelangt, sind wir ganz sicher einer Meinung: Die Postmoderne als unverbindliches Sprachspiel finde auch ich ziemlich öde. Aber die (intentionale) Inhaltsbestimmung allein garantiert wiederum nicht die Verbindlichkeit der Kunst, sondern ist, wenn es gut geht, Kitsch.
tristan - 21. Jun, 21:12

Erkenntnis, ja, da ging eine leise Ironie mit mir durch, beim "in die Hände spielen". Der unverstandene Satz ist nur Wiederholung des Gesagten, zur Vergewisserung, keine Bedeutung weiter, vielleicht Hauch einer Frage, Antwort provozierend immerhin, aber ursprünglich gar nicht so gedacht.
Der Realismus und die affirmative Lust am Kapitalismus... Ist das ein Vorwurf, der generell gemacht werden kann? Impliziert realistische Kunst nicht zumindest potentiell auch eine Kritik der dargestellten Realität? Ich weiß schon, die Gefahr, moralisch unzulässiger Überhöhung, peinlicher Ideologisierung, aber im Bewußtsein dessen kann Realismus, der ja immer nur Abbild einer ganz bestimmten Wahrnehmung ist, zu produktivem Widerspruch herausfordern. Gegenbeispiele beweisen nicht die Unmöglichkeit, weisen aber auf die Probleme hin, unbenommen.
Aber auch eine andere Darstellung ist zwangsläufig geprägt von Erfahrungen, Meinungen und (allerwenigstens) unbewußtem Manipulationstendenzen, die sind nur besser versteckt, vor dem schaffenden wie dem konsumierenden Individuum. Realismus scheint mir ehrlicher zu sein. [Das Gegenteil davon ist -unehrlich-, nicht -verlogen-.]
Zur Überwindung: Den Berg besteigen heißt: ihn überwinden. Die darauf folgende Herausforderung lauert am Horizont, der nächste Gipfel. Insofern sprach ich von Überwindung als positivem Entwicklungsschritt, Erfüllung eben, nicht Beseitigung.
Meta: Mir kommt es so vor, als liesse sich der größte Teil der Diskussion auf unterschiedliche Begrifflichkeiten zurückführen, die letztendlich doch zumindest Ähnliches bezeichnen. Das muss wohl so sein. Die vielleicht real existierenden Unterschiede treten dahinter etwas zurück. Das gibt sich bestimmt.;-)
Ab Mittelalter übrigens d'accord, auch wenn altkluge HistorikerInnen jetzt sicher darauf verweisen würden, dass das MA gar nicht so schlimm war, sondern die frühe Neuzeit, aber so einer bin ich ja nicht.
albannikolaiherbst - 22. Jun, 10:30

Nein, nicht generell ein Vorwurf,

aber eine Diagnose. Ich denke nicht, daß "der Realismus" affirmieren w i l l, aber ich glaube, daß er es durch seine Form tut. Sie scheint an einer Vorstellung von Realem und seiner Darstellung festzuhängen, die mit Ende des 19. Jahrhunderts eigentlich verlassen wurde, und zwar auch ökonomisch. Es geht mir darum, einen neuen Realismus-Begriff zu fassen. Ich glaube, daß realistische Literatur gar nicht mehr realistisch i s t, jedenfalls nicht in den Zusammenhängen der hochindustriellen Medienwelt. Darüber mehr und intensiv hier.
Das "Mittelalter" meine ich übrigens metaphorisch, vielleicht ist es sogar ein allegorischer Begriff insofern, als weniger mitschwingt, was wirklich war (wer soll darüber auch etwas wissen? wie kennen alles nur vom - geschriebenen -Hörensagen), als was im Bedeutungshof schwingt. Die Historikerinnen (Sie denken jetzt nicht etwa an die neuen Hexen? Nein, die gehören ja in der beginnenden Neuzeit verbrannt... in und nach der Inquisition.) werfen das Argument als nicht von der Latte, lach.
tristan - 22. Jun, 17:10

Ich glaube fast, die Formkritik am Realismus geht am eigentlichen Problem vorbei, dem der Produktion und Distribution von Kunst, das auch, wenn sie sich anderer Darstellungsformen bedient, bestehen bleibt. Die Wandlungen seit Ende des 19. Jh. sind in gewisser Weise doch nur zugespitzte Erscheinungsformen bereits vorher bestehender Realitäten. Die Tatsache der Ausbeutung bleibt Tatsache, auch wenn sich ihre konkrete Erscheinung ändert. Genau wie die Tatsache eines von bürgerlichen Parametern geprägten Kulturbetriebes, dem man sich nicht durch Änderung der Darstellung, sondern wenn überhaupt, durch Änderung der Produktionsweise und Distribution entzieht. Insofern gehen irgendwelche kooperativ geschriebenen und privat kopierten Fanzines, Weblogs auch, weiter, als so manches zeit- und weltkritische Gedicht in CH Becks Lyrikjahrbuch, so sehr es auch die Entwicklung der Form voranbringen mag. Obwohl ich mit dieser Feststellung bei ihnen vermutlich offene Türen einrenne.
Daraus aber nun endlich folgernd, halte ich es für vielversprechend, Realismus als Kritik zu praktizieren. Vor der Vereinnahmung ist das (kommerziell erfolgreiche) Werk so oder so nicht geschützt, weil es unter gegebenen Bedingungen als Ware handelbar ist, da nützen auch die wildesten De-Konstruktionen, die Ablehnung aller Absolutheit, der Geschlossenheit von Werk und Person usw. nichts. Sie erscheinen mir als Fluchtversuche. Beim Weglaufen verstellen sie den Blick darauf , dass einige Dinge vielleicht doch einfacher, realistischer eben, darzustellen sind. Sie laufen dabei Gefahr, nicht mehr fassbar zu sein. Diese Nichtfassbarkeit als Absicht zu deklarieren und zu praktizieren ist natürlich in Ordnung, geht mir aber ein wenig ab. Realistische Literatur ist realistisch, weil das von ihr erzeugte Abbild ja auch Realität ist, eine, die sich in Frage stellen lässt, was ich nicht unwichtig finde. Selbst die stinkendste Kloake kann ein wichtiger Orientierungspunkt sein. Und auf sowas fahr ich ab, Orientierungspunkte, die helfen mir, beweglich zu bleiben.
albannikolaiherbst - 22. Jun, 17:59

Fanzines, Bloggs etc. s p i e l e n bereits mit der geänderten Form.

Und eben sie wurden von der Moderne vorgedacht, nicht etwa vom Realismus. Hettche hat einmal zu Recht angemerkt, Kunst nehme die Entwicklung voraus (Unrecht hat er meines Erachtens - n o c h - bei den Naturwissenschaften, da ist es eher umgekehrt). Und nicht die Ausbeutung, von der nun gerade ich immer sehr deutlich gesagt habe,daß sie existiere (ich hab genug Erfahrungen in der Dritten Welt sammeln können und darüber ja auch publiziert), steht infrage, sondern ob die Augebeuteten noch Subjekt der Geschichte sind oder nicht vielmehr ihre Abfallprodukte... S p a l t abfall... - wogegen sich zu wehren wäre und ist. Versucht man dies aber als einheitliches Subjekt, wird die Befreiung scheitern, da die Subjekt-Idee Autonomie - nämlich auch bei den Ausbeutern - vorausetzt, und die ist bei denen ebenso wenig vorhanden wie bei ihren "Opfern". Die Parteien sind systematisch aufeinander bezogen... und zwar in einem so organischen Sinn, daß ich an Harraways "Neuerfindung der Natur" denken muß, worin sie uns längst als Cyborgs beschreibt.
Das ist wirklich kein Spiel, sondern mir sehr ernst. Und es interressiert mich, wie ich die hier skizzierten Sachverhalte darstellen kann, - nämlich ganz sicher nicht in Form eines formal immer schon regredierten Schein-Realismus, der A sagt, wenn er etwas meint, das a u s s i e h t wie A, aber A gar nicht sein kann, weil es sich um eine Ausage handelt.
Da ich frei von der Vorstellung bin, mit Romanen Gesellschaft verändern zu können, sondern meine Aufgabe als Schriftsteller eher darin sehe, sie darzustellen (ihre Veränderung liegt mir als politischem Bürger am Herzen und in politischen Aktionen wirke ich dann auch mit), habe ich ohnedies das Gefühl einer ganz andersgearteten Zielrichtung, als meine Texte unter gesellschaftliche Intentionen zu stellen. Es ist in der Erkenntnis ein wenig wie in der Liebe: Wenn ich mich selbst zu lieben vermag, wird mir Zuneigung nicht vorenthalten bleiben. Verzeihen Sie den Kitsch, aber ich bin davon überzeugt, es ist etwas daran.
tristan - 23. Jun, 16:32

Macht es einen Unterschied, also mehr als den in der Bezeichnung, ob Ausgebeutete nun Subjekt der Geschichte sind oder ihr Abfall? Verhungern tut ein Mensch als einheitliches Subjekt seiner eigenen Geschichte. Und was aussieht wie A, könnte auch A sein, ich würds drauf ankommen lassen.
Wo wir grad drüber reden: Mit seiner Eigenwilligkeit in der literarischen Gestaltung fügt sich Pynchon in die Reihe jener kritisch-realistischen Erzähler der Gegenwart ein, die oft als "Fabulatoren" oder "Postmodernisten" bezeichnet werden. [...] Doch ist die Hinwendung zum Entropiekonzept Ausdruck eines deutlichen Krisenbewußtseins spätbürgerlicher Schriftsteller und ihrer tief empfundenen Sorge um die weitere humanistische Entwicklung ihres Landes.
Sagt Eva Manske im Nachwort zur 1985 erschienenen Lizenzausgabe Die Versteigerung von No. 49. Na also, selbst aus der Perspektive des sozialistischen Realismus hat die Postmoderne eine Daseinsberechtigung, als Ausdruck tief empfundener Sorge versteht sich. Und ich versteig mich noch... Man kann sich auf nichts mehr verlassen.
albannikolaiherbst - 23. Jun, 16:46

sehr laut auflachend:

... okay, okayyyiiiii.... s o gesehen m u ß ich Ihnen zustimmen, schon als Synkretist (und bin nicht i c h es, der ein Hohelied auf Aragon sang?) - : selbstverständlich ist die Postmoderne (in ihrer ernsthaften Form, als einer, die es ernst meint!) Ausdruck spätbürgerlichen Verfalls.... aber eben auch die Beschreibung des Beginns einer ganz neuen Epoche, in der sich das Menschenbild - jedenfalls in der Industriegesellschaft - p r i n z i pi e l l wandelt, nämlich biomechanoid wird. Hierzu Donna Harraway, Neuerfindung der Natur.
Ich würde niemals Leid und Hunger (und Durst und Krankheit) verleugnen, so wenig wie Lust. Niemals.
tristan - 23. Jun, 16:50

Der Vollständigkeit halber: Das würde ich auch nicht unterstellen.

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