Kaisersaschern Blues

Montag, 24. Mai 2004

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Nach der Ausstellungseröffnung in D. halten wir auf der Rückfahrt in einem Nest mit Jahrmarkt. Der Fahrer und ich haben Hunger, was zu trinken wäre auch ganz nett. G., Lyriker aus Süddeutschland, bleibt im Wagen.
Der Fahrer fragt mich ein bisschen aus. Viel weiß ich nicht. „Der sagt doch nichts.“ Ist mehr so der stille Typ. „Und warum kommt der denn nicht mit und bleibt da so miesepetrig im Auto hocken. Ich mein, man kann doch auch mal über seinen Tellerrand hinausschauen.“
Ich sehe mich um. Ein Karussell, vier Buden mit Wurstspezialitäten, eine Gulaschkanone, Springburg für die Kinder, auf der Bühne intoniert eine Band Avsenik-Schlager. Tellerrand? Egal. Ich nicke, wir lassen noch Maibowle kommen, die ist hier eine Waldmeistergärung. Danach den, wie es stolz heißt, Bretterknaller: Kirschwein und dann noch den Apfelwein probiert.

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Nachdem die jungen Nachwuchskünstlerinnen mit ihrem etwa halbstündigen Vortrag, mir recht typisch erscheinender jugendlich-tragischer Leider* und Texte,** zu Ende gekommen waren, hob ernsten Gesichts der Moderator an zu sprechen:
Ich möchte ja auch mal sagen, also bevor wir zum nächsten Beitrag kommen, also, was die Mädels hier vorgetragen haben, also, ich frag mich also schon, was das wohl für eine Welt ist, in der sich junge Menschen solche Gedanken machen.
Er stockt, das war wohl ursprünglich mal als Lob gemeint gewesen, jetzt sagt er, wie immer, wenn er aus dem Konzept kommt:
Ja, also, das können wir ja erst mal, ähem, setzen lassen...
Ich lache zwar ziemlich allein, dafür umso herzlicher.
Der Kameramann vom Offenen Kanal des Städtchen sieht mich böse an. Jetzt hab ich den Ton versaut, und es ist doch eine Live-Übertragung

[*manchmal macht so ein Buchstabendreher das Wort erst stimmig]
[**und was die Kommasetzung angeht.... ach, was red ich]

Freitag, 21. Mai 2004

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Am Leib eine zerbeulte Jeans und die schäbige Trainingsjacke, die ist so schön gemütlich, an den Füßen ausgetretene Sandalen, schlender ich so durch die Fußgängerzone des Städtchens, als sich eine Vision einstellt: Aus einer Nebengasse kommend und in den Burggarten einbiegend sehe ich ein Meer von Uniformen. Schwarze, mit Zylindern und blau-gelben Bändern, graue Uniformröcke mit grünen Gamsbarthüten, andere haben eine Fasanenfeder angesteckt. Grüne Jacken, schwarze Hosen, grüne Mützen mit schwarzem Schirm, Feuerwehruniformen in schlichtem blau, dunkelblaue Uniformen mit Napoleonhüten auf denen riesige weiße Puschel wehen, schwarz-weiß-rote Bänder, blau-rote Bänder, grün-weiße Bänder, rote Uniformen mit schwarzen Hüten auf denen rot-weiße Puschel prangen. Vor jeder Gruppe trägt ein Kind Schilder, bei der nächsten Formation steht „Marinekameradschaft“ drauf, danach kommt die „Frauengruppe der Schützengilde“. Dann schwarze Fräcke mit Zylinder, am Kragen leuchten Nachbildungen des Eisernen Kreuzes aus billigem Blech. Und überhaupt: Orden, groß, klein, bunt, schlicht, viele Orden auf einer Brust, selten nur einer, einige haben einen ledernen Latz umgebunden, nur für die Orden. Alle paar Meter eine kleine Kapelle, bei einer großen Trommel ist „Die kleine Dorfmusik“ zu lesen. Aus dem ganzen Umland sind sie gekommen, Steinitz, Warpke, Diesdorf, sogar aus Lüchow. Im Burggarten dann angetreten, Meldungen im Stechschritt, nicht immer ganz sauber ausgeführt, einige der Herren sind schon recht betagt. Man bedankt sich mit 150-kehligen Hochrufen bei dem einen (!) Polizisten, der den Umzug gesichert hat. Er heißt Ekkehard. Die ganze Szene wirkt wie eine Karikatur, man wartet auf einen Schwejk, der laut nach dem Herrn Oberlaijtnaant ruft. Der stellvertretende Landrat ist mitmarschiert. Als es ins Festzelt geht, in Marschordnung versteht sich, da flieht er. Für einen Sozi ist hier wirklich kein Platz. Auch ich entferne mich, benommen vom großen Zapfenstreich der Altmärkischen Schützengilden.
Im Stadtpark liegen zwei junge Männer im Gras und spielen Schach.

Donnerstag, 20. Mai 2004

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In Sachen Sokrates' Tochter habe ich mir inzwischen von berufener Stelle erklären lassen, dass die geschilderten Vorgänge auf ein Krankheitsbild namens konfabulatorische Schizophrenie schließen lassen. Und irgendwie passt das auch auf Frau B. und Frau F.
Obwohl, ein Hautmerkmal der Krankheit ist jeglicher Mangel an offener Aggression.

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Nun wäre es sicher interessant zu erfahren, ob im Städtchen die Mühlen der Exekutive einfach nur etwas langsam mahlen, oder die Verantwortlichen Vernunft angenommen haben, oder ob Sokrates’ Tochter schlicht drauf scheißt, jedenfalls hatte ich heute wieder ein paar beschriebene Seiten von ihr im Briefkasten. Sie traut sich nicht mehr jederzeit zu klingeln, seit sie mich mal um 12.oo Uhr geweckt hatte und ich entsprechend mürrisch im Bademantel vor ihr stand. Und gerade jetzt hätte ich sie doch ganz gerne mal gesprochen...
Die koboltigen Nachbarn haben derweil von einem Ausflug in die Umgebung Saft aus einer kleinen Kelterei mitgebracht und mir vor die Tür gestellt. „Als Dankeschön für den Kuchen.“, der wiederum ein Dankeschön für die ausgeborgte Springform war.
Der Rundbrief der Kirchgemeinde ist auch heute gekommen.
Vor die Tür werd ich wohl nicht gehen; von allen Feiertagen ist mir Himmelfahrt der unangenehmste. Weniger in seiner ursprünglichen Bedeutung, mich schreckt mehr die Praxis der Feierlichkeiten. Vatertag. Als wenn sie sich nicht auch sonst jeden Tag besaufen könnten und würden.

Mittwoch, 19. Mai 2004

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Wie groß das Städtchen ist?
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Zwei Aldi, zwei Gymnasien.

Dienstag, 18. Mai 2004

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Spaziergang im Stadtpark abgebrochen.
Hatte völlig vergessen, wie dunkel es nachts werden kann.
Mindestens vier ausgewachsene Bäume vermöbelt, die wern sich in Zukunft aber mal hüten, aba ma so rischti.

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Frau F. vom nächsten Amt ruft an. Das Gesundheitsamt, die Betreuungsbehörde und die Polizei wurden in Sachen Sokrates eingeschaltet.
Zum Glück ist der Schuldturm ausser Betrieb und die Burgzinnen sind geschleift.
Mannomann.

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Einmal die Woche bekomme ich Besuch von Sokrates Tochter, so nennt sie sich selber. Eine ältere Dame mit Fahrrad und jeder Menge beschriebenen Blätter im Gepäck, seit neuestem auch Bücher und Bilder, die sie mir treuherzig übergibt, dass ich mich über die Schlechtigkeit der Welt informiere. Aus Gesprächen und ihrem Material kann ich entnehmen, dass sie wohl unter amtsgerichtlich verfügter Betreuung steht, Finanzsorge wahrscheinlich. Bin kein Fachmann, was die entsprechenden Krankheitsbilder angeht, aber irgendwas paranoides oder schizophrenes wird’s wohl sein. Was sie mir an Papier gibt, sammle ich, vielleicht will sie die Zettel ja eines Tages wiederhaben.
Heute nun ruft mich Frau B. von einer der vielen Stellen, die für mich im Städtchen zuständig sind, an und erkundigt sich nach meiner seltsamen Bekanntschaft. Ihr sei zu Ohren gekommen, dass ich von „dieser Person“ belästigt werde. Ich kann zwar den Kontakt, nicht jedoch die Belästigung bestätigen, Bedrohung schon gar nicht. „Wir wollen ja niemanden in irgendeine Ecke stellen...“, so Frau B., will sie aber doch so ein klitzekleines bisschen und kündigt trotz meines energischen Widerspruchs an, „die entsprechenden Stellen anzusprechen und Maßnahmen zu veranlassen.“. Stellen und Maßnahmen, da kommt die Stasi wieder durch, beste DDR-Schule. Zum Glück krieg ich noch den Namen der Betreuerin raus, damit Frau B. der armen Verrückten nicht noch die Polizei auf den Pelz hetzt.
Sie lässt sich partout nicht davon abbringen, in meinem Interesse, wie sie nicht müde wird zu betonen, für Ruhe zu sorgen. Und was Sokrates’ Tochter bei ihren Besuchen so überhaupt nicht gelungen ist, vermag die Beamte mit einem einzigen Telefongespräch: mich auf unangenehmste Art belästigen und von der Arbeit abhalten.
„Wir müssen doch dafür sorgen, dass unser Schriftsteller in Ruhe arbeiten kann.“
Schlagen möchte ich sie, immer mitten in die dumme Fresse rein.

Ich erwarte Verständnis für die drastische Wortwahl.

Sonntag, 16. Mai 2004

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Baguette
Weißbrot nach französischer „Art“


Dem Verzehr folgend, wollte ich noch einmal zum Bäcker eilen und die Gänsefüßchen umsetzen, dass es nur so seine „Art“ hätte.
Statt dessen trank ich „Wein“, der sich am nächsten Morgen als unmäßig Hauptweh verursachend herausstellen sollte.

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