Samstag, 4. Dezember 2004

...

Schreib was drüber, hatte M. gesagt, da im Auto auf dem Weg zum Zoo, an dem Tag, als wir uns das erste Mal live und in Farbe begegnet sind.
Und dann wird die Welt besser?
Für die Antwort schäme ich mich inzwischen.
Ich schreibe drüber.
Versprochen.

Advent im Silbersee

Guten Tag. Heute darf ich Ihnen ausnahmsweise mal einen Fremdtext zur Kenntnis bringen, aufgeschrieben von meinem lieben Bruder, Kollegen, Gönner und Freund Morris, der einzigen lebenden Inkarnation des deutschen Volksdichters Karl May neben mir.

Schnipp

Zwei Männer ritten in einiger Entfernung an einem Bach entlang, ein Weißer und ein Neger. Der Weiße war sehr seltsam gekleidet. Er trug Halbschuhe und Cordhosen, dazu einen einst dunkelbraunen, jetzt verschossenen Frack mit Patten, hohen Schulterpuffen und blank geputzten Messingknöpfen. Auf dem Kopf saß ein riesiger schwarzer Amazonenhut, den eine gelbgefärbte, unechte Straußenfeder und ein Kranz Wiener Würstchen schmückte. Bewaffnet war der kleine, schmächtige Mann mit einer Doppelbüchse, die er über eine Schulterpuffe gehängt hatte, mit zwei Revolvern und einem Nußknacker im Gürtel. An dem Gürtel waren mehrere Beutel befestigt, die jetzt fast leer zu sein schienen; nur aus einem rieselte unhörbar etwas Puderzucker auf den Rücken seines Esels.
Der Schwarze war eine riesige, breitschultrige Figur. Auch er trug Halbschuhe. Bewaffnet war der Mann mit einem Doppelgewehr, außerdem mit einem Messer, einem Bajonett, einem Tortenheber und einer Reiterpistole, deren Geburtsjahr jedenfalls auf Anno Tobak zu setzen war. Beritten waren beide gut. Es war den Maultieren anzusehen, daß sie heute eine weite Strecke hinter sich gebracht hatten, und doch schritten sie noch so munter und kräftig aus, als ob sie ihre Reiter, in denen man mit geübtem Auge den berühmten Old Adventhand und seinen treuen Sklaven Weihnachtsbob erkennen konnte, erst wenige Wochen getragen hätten.
Die Ufer des Baches waren saftgrün bewachsen, doch nur in einer gewissen Breite. Darüber hinaus gab es dürre Yuccas, fleischige Ajaren und vertrocknetes Bärengras, dessen wohl fünfzehn Fuß hohe Stengel verblüht waren.
Je näher die beiden Reiter kamen, desto besser konnte man sehen, daß der Weiße einen prächtigen dunklen Rapphengst ritt, mit roten Nüstern, deren Durchmesser 6,3 indianische Zoll betrugen, was ungefähr einem durchschnittlichen bunten Komantschenhandteller entsprach. Dieser Mann war von nicht sehr hoher und nicht sehr breiter Gestalt, aber seine Sehnen schienen von reinlichem Stahl und seine Muskeln von Eisen zu sein. Sein sonnenverbranntes, ernstes Gesicht umrahmte ein dunkelblonder Vollbart, der aus dunkelblonden Haaren zu sein schien. Er trug gefranste Leopardenleggins, zwei praktische fusselfreie rote Wintermäntel, Filzpantoffeln, die er über seine Füße gezogen hatte und einen breitkrempigen Filzhut mit Bommel, an dessen Schnur rundum die Ohrenspitzen des grauen Bären steckten. In dem breiten Gürtel steckten zwei parfümierte Revolver, zwei Paar Schraubhufeisen, ein Bowiemesser, fünfzehn Florette sowie ein doppelläufiger Bärentöter von allerschwerstem Kaliber, wie es heutigentags keinen mehr gibt. Der echte Jäger gibt nichts auf Glanz und Sauberkeit, der allergrößte Greuel ist ihm ein blankgeputztes Gewehr. Dieser Mann nun sah grauenhaft sauber aus, die Büchse gewienert, die Stiefel eingefettet, die Haare gewaschen. Und dieser Mann war sehr oft von Leuten oder die ihn nicht kannten, seines sauberen Äußeren wegen für irgendeinen deutschen Sonntagsjäger gehalten worden. Sobald sie seinen Namen hörten, sahen sie ein, welch ein gründlich falsches Urteil sie gefällt hatten, denn es war tatsächlich Old Adventhand, der berühmteste sauberste deutsche Sonntagsjäger.
Der Neger neben ihm war ein Indianer; die Schimmelstute auf der er saß, glich vollkommen der Old Adventhands. Er trug ein weißgegerbtes, mit roter Stickerei verziertes Jagdhemd. Die Leggins waren aus demselben Stoff gefertigt. Kein Fleck, keine noch so geringe Unsauberkeit war an Hemd oder Hose zu bemerken. Seine kleinen Füße waren mit Stachelschweinborsten geschmückt. Sein langes, dichtes, blauschwarzes Haar war in einem hohen, helmartigen Schopf geordnet und mit einer Klapperschlangenhaut, die er einer sterbenden Klapperschlange entnommen hatte. Der Schnitt seines Angesichts erinnerte an einen Römer, die Backenknochen standen kaum merklich vor, die Lippen seines bartlosen Gesichtes waren voll und doch fein geschwungen. Quer über den Sattel hatte er ein Gewehr vor sich liegen, dessen Holzteile dicht mit silbernen Nägeln beschlagen waren. Wäre ihm ein Mann begegnet, der ihn noch nie gesehen hatte, er hätte ihn sofort an diesem Gewehr oder an den vollen, feingeschwungenen Lippen erkannt. Dieser rote Reiter war also Glühwinetou, der berühmte Häuptling der gelben, grünen und roten Knox; und selbst die braunen und die fliederfarbenen pflegten sich seinem Ratschlag zu unterwerfen. Seine bronzenen Gesichtszüge blieben unbewegt. Der einzige Ausdruck seiner spätpersisch angeordneten Augen sprach von der legendären indianischen Selbstbeherrschung. Oder Gelangweiltheit.
„Ach komm schon“, sagte gerade der nicht sehr hohe Jäger zu ihm, „irgendwas, vielleicht ein Lied!“
„Nein.“ erwiderte der Häuptling ruhig.
„Eine Geschichte?“
„Nein.“ erwiderte der Häuptling ruhig.
„Aber vielleicht ein Märchen, oder ein Tanz oder, da muß es doch irgendwas geben?“ bohrte der Weiße weiter.
„Nein.“ erwiderte der Häuptling ruhig. Old Adventhand schüttelte mit dem Kopf. „Und was macht ihr sonst? Ihr müsst doch irgendwas machen?“
„Nein.“ erwiderte der Häuptling ruhig. Der Weiße neben ihm starrte ihn entgeistert an. „Unglaublich. Ihr müsst doch wenigstens was Gutes essen!“
„Nein.“ erwiderte der Häuptling mit Nachdruck.
„Punsch trinken?“
Der Häuptling schwieg und schaute starr geradeaus. Eine Weile war es so still zwischen beiden, daß nur noch die Darmwinde der Pferde zu hören waren.
„Na komm, das geht doch nicht. Warte mal.“ Old Adventhand zog aus dem Gürtel eine dick gefüllte Schreibmappe und schlug sie auf. „Ich hab da so´n paar Sachen gemacht, vielleicht kannst du was damit anfangen:
Advent, du treues Herdentier
Du Freudenfeuer weißer Nacht
Gott, segne auch den Büffelstier
Den wir am Feuer warmgemacht.
Was hälst du davon?“
„Washteke ma shleka“ ° erwiderte der Häuptling.
„Was?“ fragte der Weiße.
„Ich danke meinem weißen Bruder für die schönen Worte. Er hat Freude in Glühwinetous Kopf gebracht. Howgh.“ erwiderte der Häuptling gelassen.
Old Adventhand strahlte. „Wirklich? Du, ich hab da noch viel, viel mehr. Hier, vielleicht was Lustiges, mhm. Wie findest du das:
Keen Schtänder führt dich zum Verkehr
Und nicht zum Feste ein jeder Tannenboom
Aber uff´m Gedanken kommen möchte man schon........

Während die fünfzehn Fuß hohen Stengel des vertrockneten Bärengrases doch noch drei bis vier Zoll wuchsen, Old Adventhand redete und die Augen des Indianers den Ausdruck tödlicher Gelangweiltheit annahmen, ritten die beiden weiter den Bach entlang in die heilige Nacht.

° indian. für: Lutsch meine Silberbüchse

Schnipp

Aktuelle Beiträge

Umzug
Wer kann schon stillsitzen dieser Tage. Ich nicht!...
tristan - 1. Aug, 16:27
1000
Von Mecklenburg geht ja noch immer das höhnische...
tristan - 29. Jul, 21:48
van Gogh
Dass die taz gerne mal die Zeitung von morgen mit Nachrichten...
tristan - 27. Jul, 21:50
Spacequeens
Queens in Space II Bis Donnerstag treten die vier noch...
tristan - 25. Jul, 20:46
Auf einen Blick
Schon von weitem waren sie zu hören. Schröder, Fischer,...
tristan - 25. Jul, 20:22

Status

Online seit 7426 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 1. Aug, 16:27

Credits

powered by Antville powered by Helma


xml version of this page

twoday.net AGB


...damit wir leben koennen
abgeschlossenes Sammelgebiet
Agitprop
Best of
Betriebskreatur
Brigitte-Reimann-Allee
dampfender Hals
Eckermann!
Eigenwerbung
Flusen im Kopf
Fragen Sie ruhig
Fram
hmm
How to
ich sehe was
Istria revisited
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren